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Die Heimkehr der Chorherren

29.04.2020

Die Heimkehr der Chorherren

Vor 75 Jahren, am 30. April 1945, durften die Augustiner-Chorherren wieder zurück in ihr Stift Klosterneuburg, das 1941 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Die Chorherren gedenken dieser Tage ihrer Mitbrüder, die diese schrecklichen Ereignisse miterleben mussten, derer, die das nationalsozialistische Regime, den Krieg und den sowjetischen Terror nicht überlebt habe und derer, die durch ihr unermüdliches, mutiges und engagiertes Verhalten und Handeln den Konvent zusammengehalten und das Stift verteidigt und beschützt haben.

Im Vorraum der Sebastianikapelle am Stiftsplatz in Klosterneuburg hängt eine dreigegliederte Gedenktafel für acht Augustiner-Chorherren des Stiftes Klosterneuburg, die 1945 nicht in ihr Ordenshaus zurückgekehrt sind: Roman Scholz, als Widerstandskämpfer 1944, durch das Fallbeil hingerichtet; Laurenz Garsky, als Sanitätssoldat, 1942 in Russland gefallen; Floridus Klee, 1944 über England vermisst; Ämilian Strohwick,1944 bei einem Bombenangriff auf Wien umgekommen; Franz Lang,1944 in Albanien gefallen; Altmann Wirkner und Hildebrand Herp, beide seit 1945 vermisst und Alois Kremar,1945 von sowjetischen Soldaten erschossen, als er Frauen in seinem Pfarrhof in Tattendorf schützen wollte.

Aufhebung des Stiftes Klosterneuburg 1941
Am 30. April 1941 besetzte die Gestapo das Stift und vertrieb die Chorherren aus ihrem Haus. Sie fanden vorübergehend Aufnahme bei den Piaristen im 8. Wiener Gemeindebezirk. Am 27. Mai 1941 teilte die Gestapo den Chorherren mit, dass sie sich ab sofort auf die inkorporierten Pfarren verteilen dürfen. Propst Alipius Linda (+1953) residierte fortan in Maria Hietzing (Wien XIII.).

Am 4. März 1942 wurde das gesamte Vermögen des Stiftes von der Reichsfinanzverwaltung eingezogen. Alle Quellen bezeugen, dass es Propst Alipius Linda zu verdanken ist, dass der Konvent trotz der in den Jahren erfolgten Aufhebung, der teils zur Wehrmacht eingezogen und auf den Pfarren zerstreut Mitbrüder, zusammengehalten werden konnte.

Die letzten Kriegstage im April 1945
Am 6. April 1945 erreichten die sowjetischen Soldaten Kierling, das deutsche Militär sprengte in Klosterneuburg zahlreiche Brücken und Straßen. Zwei Tage später beschossen die Russen vom Kierlingtal aus das Stift, der Südturm wurde schwer beschädigt. Am Nachmittag des 8. Aprils nahmen die Sowjets dann die Obere Stadt ein.

Ein erschütternder Bericht von Theobald Tschetertnik (+1998), damals Kaplan der Stiftspfarre und einer der drei Chorherren, die als Pfarrgeistliche im Stift bleiben durften, erzählt: „Es lagen die Toten auf den Straßen, teilweise auch die Leichen der Nationalsozialisten, die Selbstmord begangen hatten. Angestellte von uns, die wohl Nationalsozialisten gewesen sind, hatten sich auch vergiftet. Die Leichen lagen herum mit den Pferdekadavern. Die Friedhofskapelle war voll Leichen. Es gab keine Särge. Es waren auch nur einzelne Körperteile, zerrissene Arme und Beine dabei. Ich konnte gar nicht in die Kapelle hinein, doch obwohl ich die Einsegnung der Toten von außen machte, haben meine Kleider nachher so nach Verwesung gestunken, dass sich alles abwandte.“

In diesen Tagen kam es auch zu einem Großbrand im Stift, der durch Hantieren von Plünderern mit offenem Feuer verursacht worden sein dürfte. Man bemühte sich erfolglos, mit Hilfe einer benzinbetriebenen Löschmaschine des Brandes Herr zu werden. „Da erklärte auch noch dazu der Wehrkommandant kaltschnäuzig, die Löschversuche müssten eingestellt werden, um Benzin zu sparen für etwaige Brände in der Stadt“, so berichtete der zweite damals im Stift wirkende Kaplan Koloman Harasta (+2005). Dass das Feuer von selbst erlosch, bezeichnete er „als wahres Wunder.“

Von allen Zeitzeugen wurde Oswald Rod (+1969) gerühmt, der als damaliger Stiftspfarrer in all den Jahren der Aufhebung des Stiftes und vor allem in jenen Apriltagen 1945 durch sein couragiertes Auftreten viel Schaden vom Stift abhalten konnte. So berichtet die Chronik von dramatischen Szenen: „Die Emailarbeiten des weltberühmten Verduner Altars waren kurz vor Ausbruch des Krieges über höheren Auftrag abmontiert und während des Krieges, in Kisten verpackt, in einem Kellerraum des Stiftes geborgen worden. Diese Kisten trugen Beschriftung und Siegel des Reichsstatthalters sowie den Reichsadler. Gerade im letzten Augenblick konnte der Pfarrer unter Lebensgefahr die widerrechtlichen Eigentumsbezeichnungen entfernen, denn schon wollten eindringende Soldaten den Verduner Altar als ‚Deutsches Eigentum‘ an sich nehmen. Der Pfarrer wehrte sich energisch dagegen und konnte schließlich doch das fast achthundertjährige Besitzrecht auf dieses Kunstwerk mit Erfolg geltend machen.“

Rückkehr ins Stift 1945
Am 27. April 1945 wurde eine provisorische österreichische Staatsregierung eingesetzt. Oswald Rod gelang es noch am selben Tag, von dieser neuen Regierung eine Ermächtigung einzuholen, den enteigneten Stiftsbesitz wieder zu übernehmen. Diese Stunden und Tage müssen aber so unübersichtlich, wirr und chaotisch gewesen sein, sodass es mehrere Tage brauchte, bis die Chorherren, allen voran Kanzleidirektor Gebhard Koberger (+1997) und Kämmerer Prosper Neunteufel (+1952) am 29. April und Propst Alipius Linda am 30. April ins Stift zurückfanden, sodass Oswald Rod am 30. April 1945, am Tag genau vier Jahre nach der Vertreibung, die Verwaltung des Hauses wieder in die Hände des Propstes legen konnte.

Damit war aber die Rücknahme des Stiftes durch die Chorherren erst am Beginn. Die Wirtschaftsbetriebe konnten sich erst allmählich konsolidieren, die Rückgabe der land- und forstwirtschaftlichen Flächen dauerte in manchen Fällen mehrere Jahre, die Güter in Ungarn sind bis heute verloren. Am 14. November 1945 versammelte sich das Kapitel im Goblinsaal zu einem Festkapitel. Damit zog der Konvent wieder offiziell in das Stift ein; mit der daran anschließenden ersten Vesper des Leopoldifestes wurde das klösterliche Leben wieder offiziell aufgenommen.

 

Unser Gedenken gilt den gefallenen Mitbrüdern
79 Jahre nach der Vertreibung und 75 Jahre nach der Rückkehr gedenken die Augustiner Chorherren des Stiftes Klosterneuburg ihrer Mitbrüder, die diese schrecklichen Ereignisse miterleben mussten, derer, die das nationalsozialistische Regime, den Krieg und den sowjetischen Terror nicht überlebt haben, und derer, die durch ihr unermüdliches, mutiges und engagiertes Verhalten und Handeln den Konvent zusammengehalten und das Stift verteidigt und beschützt haben. Dieses Gedenken und die Gedenktafeln in der Sebastianikapelle sind nicht bloß Erinnerung an vergangene Jahre, sondern Mahnung für die Gegenwart und zukünftige Zeiten.

 

Foto:        Augustiner-Chorherr bei der feierlichen Leopoldi Prozession im Jahr 1945

Bildrecht: Stift Klosterneuburg, Abdruck honorarfrei

 

 

Walter Hanzmann

Stift Klosterneuburg – Pressesprecher

0676 / 44 79 067

 

 

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