Ein kompakter Überblick über Geschichte, Kunst und Kultur des Stiftes sowie seine seelsorglichen und wirtschaftlichen Aufgaben.
Geschichte des Stiftes Klosterneuburg
Historischer Überblick
Am 12. Juni 1114, wenige Jahre nach der Verlegung ihrer Residenz nach Klosterneuburg, gründeten der Babenberger Markgraf Leopold III. und seine Frau Agnes in unmittelbarer Nähe ihrer Burg das Stift als religiöses, soziales und kulturelles Zentrum ihres Landes. 1133 übergaben sie dieses Stift an die Augustiner-Chorherren.
1136 wurde die Stiftskirche geweiht, wenige Monate später, am 15. November, starb Leopold III., der in einer kleinen Gruft unter der heutigen Leopoldikapelle beigesetzt wurde.
1181 vollendete der Goldschmied Nikolaus aus der Stadt Verdun eine Kanzelverkleidung aus Emailtafeln, die anhand von Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament die Heilsgeschichte erzählen. Nach dem verheerenden Stiftsbrand von 1330 wurden diese Emailtafeln zum „Verduner Altar“ umgestaltet, einem der bedeutendsten Kunstwerke des europäischen Mittelalters.
Um 1200 war Klosterneuburg auf einige Jahre wieder Residenz geworden: Babenberger Leopold VI. ließ sich auf dem heutigen Stiftsgelände einen neuen Palast mit einer prächtigen Kapelle, der „Capella Speciosa“, dem ersten gotischen Bauwerk in Österreich, errichten. Von beiden Gebäuden sind heute nur noch spärliche Reste vorhanden.
Im Mittelalter war das Stift zu einer wichtigen wissenschaftlichen und theologischen Forschungsstätte geworden, wovon unter anderem die über 1200 Handschriften der Stiftsbibliothek zeugen. Die Heiligsprechung des Stiftsgründers Leopold III. 1485 machte dann die Bedeutung des Stiftes in der kirchlichen Landschaft Österreichs deutlich, die nur durch die Reformationszeit unterbrochen wurde, als nur noch wenige Chorherren im Stift lebten, die in Vielem der Reformation nahestanden. Gleichzeitig erlosch das parallel zum Chorherrenstift eingerichtete Chorfrauenstift.
Mit der katholischen Gegenreformation gewann das Stift rasch wieder seine frühere Bedeutung zurück und wurde durch die Stiftung des Österreichischen Erzherzogshutes als „heilige Krone des Landes“ 1616 zum Hüter dieser Insignie, die nur zur „Erbhuldigung“ vom Grab des Heiligen Leopold entfernt werden durfte. Wenige Jahre später begann im Inneren der romanischen Stiftsbasilika die Barockisierung, die durch den Türkenkrieg 1683 unterbrochen wurde: Das Wien belagernde Türkenheer schloss auch Klosterneuburg ein, wo die Verteidigung durch einen Chorherrn und einen Laienbruder organisiert worden war. Durch die erfolgreiche Verteidigung Klosterneuburgs wurde im September 1683 mit der Schlacht am Kahlenberg (Entsatz von Wien) die Zweite Türkenbelagerung durch kaiserliche Truppen beendet.
1730 entschloss sich der Habsburger Kaiser Karl VI. nach dem Vorbild des spanischen Escorial in Klosterneuburg eine Klosterresidenz zu errichten. Der Plan sah eine riesige Anlage mit neun Kuppeln und vier Höfen vor. Während der Bauarbeiten starb der Kaiser 1740 plötzlich. Seine Tochter und Nachfolgerin Maria Theresia wünschte sich – dem Zeitgeist entsprechend – den Ausbau des Schlosses Schönbrunn nach französischem Vorbild. Im Stift war man froh, die gewaltigen Baukosten nicht weiter tragen zu müssen: Die Arbeiten wurden sofort eingestellt, gerade ein Achtel der Planung war realisiert worden. Erst 100 Jahre später wurde zumindest ein Hof, der Kaiserhof vollendet und somit ein Viertel des Planes ausgeführt.
Mit der Regierung Kaiser Josefs II. begann eine Zeit des Umbruchs: Die kaiserliche Kirchenpolitik bewirkte eine wesentliche Ausweitung der Pfarr-Seelsorge und des sozialen Engagements. Die Revolution von 1848 beendete die Grundherrschaft. Damit ging unter anderem die Steuerhoheit auf staatliche Behörden über, wodurch eine Umstellung der Wirtschaft des Stiftes notwendig wurde.
Das Ende der Habsburgermonarchie 1918 bedeutete neuerliche Veränderungen und die darauffolgenden Jahre mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Spannungen, Konflikten und Katastrophen belasteten das Stift neuerlich.
In den 1920er Jahren erwirkte der Chorherr Pius Parsch durch seine publizistische Arbeit zur „Erneuerung und Vertiefung des Verständnisses der kirchlichen Liturgie“ – einer aus Frankreich und Deutschland stammenden volksliturgischen Reformbewegung – auch in Österreich eine solche Erneuerung. Durch die Rückbesinnung auf die Bibel und neue Formen der Liturgie – wie etwa durch die Verwendung der jeweiligen Landessprache und eines Volksaltars – wurde sie zu einer Liturgiereform der Weltkirche. Ihren internationalen Durchbruch erfuhr sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965).
Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich 1938 begannen die neuen Machthaber sofort mit Maßnahmen gegen das Stift als national-österreichisches Symbol und christliche Einrichtung: Beschlagnahme von Räumlichkeiten, Enteignung von Pachtgründen und schließlich 1941 Aufhebung des Stiftes. Die Stiftsgebäude mit allen Sammlungen fielen an das Kunsthistorische Museum, alles Übrige wurde unter verschiedenen Institutionen aufgeteilt.
Im April 1945 war die Wiedererrichtung des Stiftes eine der ersten Handlungen der neuen Regierung und das Stift Klosterneuburg wurde in der Folge zu einem der wichtigsten Faktoren des kirchlichen Wiederaufbaues.